Entdeckung der psychischen Wirkungen von LSD - Lysergsäurediäthylamid

nach Albert Hofmann 

 

Inhaltsverzeichnis

1. Forschungsansatz
2. Zufallsbeobachtung
3. Bericht
4. Selbstversuch
5. Original-Laborbucheintrag
6. psychogene Wirkung
7. Ängste
8. Nachwirkung
9. Visionen

Literatur


 

Alle hier nur kurz geschilderten, aber ergebnisreichen Arbeiten, die sich aus der Lösung des Ergotoxin- Problems heraus entwickelten, ließen jedoch die Substanz LSD-25 nicht völlig in Vergessenheit geraten. Eine merkwürdige Ahnung, dieser Stoff könnte noch andere als nur die bei der ersten Untersuchung festgestellten Wirkungsqualitäten besitzen, veranlaßte mich, fünf Jahre nach der ersten Synthese LSD-25 nochmals herzustellen, um es erneut für eine erweiterte Prüfung in die pharmakologische Abteilung zu geben. Das war insofern ungewöhnlich, als Prüfsubstanzen, wenn sie von pharmakologischer Seite als uninteressant befunden worden waren, in der Regel endgültig aus dem Forschungsprogramm gestrichen wurden.

Im Frühjahr 1943 wiederholte ich also die Synthese von LSD-25. Es handelte sich - wie schon bei der ersten Herstellung - nur um eine Gewinnung von einigen Zehntelgramm dieser Verbindung.

 

Forschungsansatz

In der Schlußphase der Synthese, bei der Reinigung und Kristallisation des Lysergsäure-diäthylamids in Form des Tartrates (weinsaures Salz) wurde ich in meiner Arbeit durch ungewöhnliche Empfindungen gestört. Ich entnehme die Schilderung dieses Zwischenfalls dem Bericht, den ich damals an Professor Stoll sandte:

 

Zufallsbeobachtung

"Vergangenen Freitag, 16. April 1943, mußte ich mitten am Nachmittag meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben, da ich von einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl, befallen wurde. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen - das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell - drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein. Nach etwa zwei Stunden verflüchtigte sich dieser Zustand.

 

Bericht

Art und Verlauf dieser merkwürdigen Symptome erweckten den Verdacht einer von außen erfolgten toxischen Einwirkung, und ich vermutete einen Zusammenhang mit der Substanz, mit der ich gerade gearbeitet hatte, dem Lysergsäure-diäthylamid-tartrat. Ich konnte mir zwar nicht recht vorstellen, wie ich etwas von diesem Stoff resorbiert haben könnte, da ich bei der bekannten Giftigkeit der Mutterkornsubstanzen an peinlich sauberes Arbeiten gewöhnt war. Aber vielleicht war doch ein wenig der LSD-Lösung beim Umkristallisieren an meine Fingerspitzen gelangt und vielleicht war eine Spur der Substanz durch die Haut resorbiert worden. Falls dieser Stoff die Ursache des geschilderten Zwischenfalls gewesen war, dann mußte es sich um eine schon in kleinsten Spuren wirksame Substanz handeln. Um der Sache auf den Grund zu gehen, entschloß ich mich zum Selbstversuch. Ich wollte vorsichtig sein und begann deshalb die geplante Versuchsreihe mit der kleinsten Menge, von der, verglichen mit der Wirksamkeit der damals bekannten Mutterkornalkaloide, noch irgendein feststellbarer Effekt erwartet werden konnte, nämlich mit 0,25 mg (mg = Milligramm, Tausendstelgramm) Lysergsäure-diäthylamidtartrat.

Selbstversuch

vergrößerte Darstellung
(300kB)

Die Abbildung ist eine Fotokopie der Eintragung dieses Versuches im Laborjournal vom 19. April 1943. Der obere Abschnitt enthält die Notizen über die Herstellung des Tartrates von LSD.

19. IV./16.20: 0,5 cc. von 1/2-promilliger wässeriger Tartrat-Lösg. v. Diäthylamid peroral = 0,25 mg Tartrat. Mit ca. 10 cc. W. verdünnt geschmacklos einzunehmen.

17.00: Beginnender Schwindel, Angstgefühl. Sehstörungen. Lähmungen, Lachreiz.

Ergänzung Mit Velo nach Hause. Von 18 - ca. 20 Uhr

am 21. IV.: schwerste Krise. (S. Spezialbericht)

 

Original-Laborbucheintrag

Die letzten Worte konnte ich nur noch mit großer Mühe niederschreiben. Schon jetzt war es mir klar, daß Lysergsäure-diäthylamid die Ursache des merkwürdigen Erlebnisses vom vergangenen Freitag gewesen war, denn die Veränderungen der Empfindungen und des Erlebens waren von gleicher Art wie damals, nur viel tiefgehender. Ich konnte nur noch mit größter Anstrengung verständlich sprechen und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch orientiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad - ein Auto war im Augenblick nicht verfügbar, Autos waren während der Kriegszeit nur wenigen Privilegierten vorbehalten - nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. Schließlich doch noch heil zu Hause angelangt, war ich gerade noch fähig, meine Begleiterin zu bitten, unseren Hausarzt anzurufen und bei den Nachbarn nach Milch zu fragen.

Trotz meines rauschartigen Verwirrtheitszustandes konnte ich für kurze Augenblicke klar und zweckgerichtet denken - Milch als unspezifisches Entgiftungsmittel.

 

psychogene Wirkung

Schwindel und Ohnmachtsgefühl wurden zeitweise so stark, daß ich mich nicht mehr aufrechthalten konnte und mich auf ein Sofa hinlegen mußte. Meine Umgebung hatte sich nun in beängstigender Weise verwandelt. Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände und Möbelstücke nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Sie waren in dauernder Bewegung, wie belebt, wie von innerer Unruhe erfüllt. Die Nachbarsfrau, die mir Milch brachte, ich trank im Verlauf des Abends mehr als zwei Liter, erkannte ich kaum mehr. Das war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze. Aber schlimmer als diese Verwandlungen der Außenwelt ins Groteske waren die Veränderungen, die ich in mir selbst, an meinem inneren Wesen spürte. Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich von ihm zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa. Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt. Sie war der Dämon, der höhnisch über meinen Willen triumphierte. Eine furchtbare Angst, wahnsinnig geworden zu sein, packte mich. Ich war in eine andere Welt geraten, in andere Räume mit anderer Zeit. Mein Körper erschien mir gefühllos, leblos, fremd. Lag ich im Sterben? War das der Übergang? Zeitweise 'glaubte ich außerhalb meines Körpers zu sein und erkannte dann klar, wie ein außenstehender Beobachter, die ganze Tragik meiner Lage. Sterben ohne Abschied von meiner Familie - meine Frau war mit unseren drei Kindern an diesem Tag zu ihren Eltern nach Luzern gefahren. Ob sie jemals verstehen würde, daß ich nicht leichtsinnig, verantwortungslos, sondern äußerst vorsichtig experimentiert hatte und daß ein solcher Ausgang in keiner Weise vorauszusehen war? Nicht nur, daß eine junge Familie vorzeitig ihren Vater verlieren sollte, auch der Gedanke, meine Arbeit als Forschungschemiker, die mir soviel bedeutete, mitten in fruchtbarer, zukunftsreicher Entwicklung unvollendet abbrechen zu müssen, steigerte meine Angst und Verzweiflung. Dazwischen tauchte voll bitterer Ironie die Überlegung auf, daß ebendieses Lysergsäure-diäthylamid, das ich in die Welt gesetzt hatte, mich nun zwang, sie vorzeitig zu verlassen.

 

Ängste

Der Höhepunkt meines verzweifelten Zustandes war bereits überschritten, als der Arzt eintraf. Meine Laborantin klärte ihn über meinen Selbstversuch auf, da ich selbst noch nicht fähig war, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. Nachdem ich ihn auf meinen vermeintlich vom Tode bedrohten körperlichen Zustand hinzuweisen versucht hatte, schüttelte er ratlos den Kopf, da er außer extrem weiten Pupillen keinerlei abnorme Symptome feststellen konnte. Puls, Blutdruck und Atmung waren normal. Er verabfolgte daher keine Medikamente, trug mich ins Schlafzimmer und wachte an meinem Bett. Langsam kam ich nun wieder aus einer unheimlich fremdartigen Welt zurück in die vertraute Alltagswirklichkeit. Der Schrecken wich und machte einem Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit Platz, je mehr normales Fühlen und Denken zurückkehrten und die Gewißheit wuchs, daß ich der Gefahr des Wahnsinns endgültig entronnen war.

 

Nachwirkung

Jetzt begann ich allmählich das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte. Kaleidoskopartig sich verändernd, drangen bunte, phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluß. ...


Visionen

 

Literatur und Bearbeitung

Autor
(Text und Bild):

Albert Hofmann
Bearbeitung (WWW):

Klaus-G. Häusler; keine Umsetzung af die "Neue Deutsche Rechtschreibung", da ein Originaltext mit Urheberrechtsschutz vorliegt.

haeusler[at]muenster[dot]de

Quelle: Albert Hofmann: Ausschnitt aus dem Buch "LSD - mein Sorgenkind"
Die Entdeckung einer "Wunderdroge" 
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH &Co. KG, München © 1979 
J.G. Cotta´sche Buchhandlung; im Text ungekürzte Ausgabe Mai 1993  S.26-31
ISBN 3-423-30357-3